Mit seiner Lesung traf der an Schizophrenie erkrankte Autor Cordt Winkler auf offene Ohren und schuf einen Raum für hohen Gesprächsbedarf der Zuhörer:innen. Ein gelungener Start der keb-Reihe zur Enttabuisierung psychischer Krankheiten.

„Nicht darüber zu reden, was früher passiert war – das war die Strategie in meiner Familie“, begann Cordt Winkler seine autobiographische Lesung zum Thema „Schizophrenie“. Am Mittwochabend, 17. April, war das Café im evangelischen Gemeindehaus der Stadtgemeinde Aalen prall gefüllt. 70 Zuhörer:innen jeden Alters – ob Angehörige, Betroffene oder Interessierte – kamen zur Veranstaltung der Katholischen Erwachsenenbildung (keb) Ostalbkreis in Kooperation mit der Evangelischen Erwachsenenbildung Ostalb. Mit einem Ziel: Darüber zu reden, in Austausch zu kommen, psychische Krankheiten zu enttabuisieren.


Mit gebannter Aufmerksamkeit und erwartungsvoller Stille aus dem Publikum begann der Berliner Autor vom Ausbruch seiner ersten Psychose im Alter von 24 Jahren zu berichten. Mit örtlichem Abstand zu seinem Vater, der selbst an Schizophrenie erkrankt war, reflektierte er in dieser Zeit seine Familiengeschichte – mit einer zentralen Frage: „Was hat das mit mir zu tun?“. Im Laufe des ersten Lesungsteils sollte man erfahren – sehr viel. Zunächst war es ein Bericht aus dem Alltag eines jungen Menschen. Er erzählte vom normalen Leben, von Bekannten, die behaupten, dass Menschen in Psychotherapie doch „plem plem“ seien. Bis seine erste Psychose auftrat, und er in Wahnvorstellungen und skurrile Gedankenwelten abrutschte: „Ich ahnte, dass ich die Weltformel entdeckt hatte“, berichtete Cordt Winkler. Während er von seiner Genialität überzeugt war, begann er zu hüpfen und zu tanzen, um nicht auszukühlen. Zusätzlich fürchtete er den „mysteriösen Spiraltod“. So schilderte der Autor den Ausbruch einer wahnhaften Psychose – das alltägliche Klavierspielen, Zeitunglesen und Notizen aufschreiben wandelte sich zu einer grotesken Szene. Schnell wechselnde Gemütszustände, Überzeugungen, BSE zu haben oder ein Roboter zu sein, führten schließlich durch die Unterstützung seiner Freunde zu seinem ersten Psychiatrieaufenthalt.


Umfassender Gesprächs- und Diskussionsbedarf
Während des Zuhörens schwankte das Publikum zwischen Schmunzeln und Fassungslosigkeit. In der ersten Fragerunde zeigte sich sehr viel Gesprächsbedarf: „Was hat Ihnen den Mut gegeben, in die Psychiatrie zu gehen?“, „Wie lange dauert eine Psychose?“, „Hilft es Schizophrenie als Krankheit zu betrachten oder ist es ein Schutzraum der Seele bei existentieller Not?“ Cordt Winkler antwortete als Experte aus Erfahrung, und aus subjektiver Sicht. Es gebe keine allgemeingültigen Antworten, jeder Mensch sei unterschiedlich. Eine kontroverse Debatte über die Situation in Psychiatrien, über problematische Polizei-Auftritte bei Einweisungen oder einfach das „Von-der-Seele-Reden“ Betroffener oder Angehöriger fanden an diesem Abend statt. Die Erleichterung, es endlich aussprechen zu dürfen, war spürbar.

Cordt Winkler las gegen Ende nochmals aus einem anderen Kapitel, beschrieb eindrucksvoll, wie seine Realität schrittweise zum Rätsel wurde, als eine weitere psychotische Episode ausbrach. Die dabei erlebte Orientierungslosigkeit wandelte der Autor für sich und das Publikum in Gesprächsstoff, in Diskussion über psychotisches Erleben und einen guten Umgang damit. Im Anschluss blieben viele Zuhörer:innen, tauschten sich aus, vernetzen sich. Der Verein für Seelische Gesundheit Ostalbkreis bietet einen Treffpunkt an, in dem Angehörige gehört werden, was in normaler Gesellschaft kaum möglich sei. Man war sich einig: „Es gibt viel zu tun! Das Stigma psychischer Krankheiten ist noch riesig!“

Weitere Veranstaltungen zur Enttabuisierung
Die Lesung „ICH ist manchmal ein anderer – mein Leben mit Schizophrenie“ war der Auftakt der Reihe „Psychisch krank – immer noch ein Tabu?“ der keb Ostalbkreis. Am Donnerstag, 25. April ab 19 Uhr in der Wissenswerkstatt EULE in Schwäbisch Gmünd findet eine hybride Podiumsdiskussion statt zum Thema „BURNOUT – ausgebrannte Gesellschaft?“ Der Eintritt ist frei. Kontaktmöglichkeiten des Vereins für seelische Gesundheit e.V. finden Sie unter www.vsg-ostalb.de/treff-1/ oder unter 01575-2382205.