Vortrag „Antisemitismusvorwurf als Waffe in der politischen Auseinandersetzung“

Ellwangen. Ein hoch aktuelles Thema behandelten die Ellwanger Mahnwache und die Katholische Erwachsenenbildung (keb) Ostalbkreis im Palais Adelmann: Der aus Ellwangen stammende Historiker Prof. Dr. Wolfgang Benz – ehemaliger Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin – erklärte den mehr als 100 Interessierten, wie in zunehmender und beängstigender Weise der Vorwurf des Antisemitismus die Diskussion zur Lage im Nahen Osten vergiftet. Mit Verboten von Kundgebungen oder Ausstelllungen werde jede Form von Kritik an israelischer Politik tabuisiert. Benz machte deutlich, dass der Begriff „Antisemitismus“ nicht gerechtfertigt ist, wenn man den Staat Israel und seine Handlungen kritisiert. Das darf man, versicherte der Redner. Auch im eigenen Land habe Netanjahu nur eine Zustimmung von 20 %. „Der Schmerz über den Überfall der Hamas auf unschuldige Zivilisten am 7. Oktober 2023 verbiete nicht, gleichzeitig Empathie für die 35.000 getöteten und 70.000 verletzten Palästinenser in Gaza zu haben und Zorn gegen die Angriffe des israelischen Militärs zu empfinden.“ Unbestritten sei die sichere Existenz der Juden in einem jüdischen Staat. „Trotzdem muss Kritik an Israel erlaubt sein, wenn Menschenrechte der palästinensischen Bevölkerung verletzt werden“, stellte der Professor klar.

Eine Erkenntnis internationaler Forschung referierend, mahnte er: Emotionen führen zu einer „politischen Meinung“, wenn jedoch diese Emotionen nicht abgelöst werden durch eine „Rationale Betrachtung“, führe dies zu einer katastrophalen Intoleranz. Als Beispiel nannte Benz das Ressentiment „Menschen mögen das Judentum nicht, weil man die Juden nicht mag“. Dies sei eine emotionale Begründung, die gefährliche Folgen haben könne.

Auf die deutsche Realität eingehend, kritisierte Wolfgang Benz, dass seriöse Wissenschaftler diskreditiert und Auftrittsverbote gegen sie verhängt werden, während die Mainstream-Medien sich wie die meisten Politiker „bedingungslos“ auf die Seite Israels stellten und berechtigte Kritik an dessen Regierung schwach ausfällt. Benz verlangte stattdessen eine „differenzierte Auseinandersetzung, keine schwarz-weiße Betrachtung“. Was darunter zu verstehen sei, enthält die von ihm und 380 weiteren Wissenschaftlern unterzeichnete „Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus: Antisemitismus in Form von Diskriminierung, Vorurteil, Feindseligkeit oder Gewalt gegen Juden und Jüdinnen ist im Kern rassistisch. Kritik am Staat Israel und seiner Palästinenserpolitik sind nicht per se antisemitisch.“

In der anschließenden Diskussion, die Dr. Stefan Lahres von der keb Ostalbkreis moderierte, hoffte Prof. Benz auf die Umsetzung des Biden-Plans und plädierte für eine Zweistaatenlösung zur dauerhaften Friedensstiftung. Er zeigte sich aber skeptisch, dass die „Lagerbildung“ schnell überwunden werden könne. Hilfreich dazu wäre die Bildung von israelisch-palästinensischen Gruppen; das müsse aber von den Betroffenen initiiert werden. Nach einem langanhaltenden Applaus für den glänzenden Vortrag klang der Abend mit angeregten Gesprächen aus.

Prof. Dr. Wolfgang Benz sprach im Palais Adelmann. Eingeladen hatten die Mahnwache in Kooperation mit dem Friedensforum Ellwangen, der Katholischen Erwachsenenbildung Ostalbkreis und der Gewerkschaft ver.di.

Autor: red
Fotos: Privat